Ostern auf der Lahn
– Zimteis und lebenslanges Lernen –
Nachdem die Coronapandemie unsere Ruderpläne für die Ostertage 2020 und 2021 zunichte gemacht hatte, konnten wir im Jahr 2022 im dritten Anlauf nun endlich unsere Boote auf der Lahn zu Wasser lassen. An vier Tagen sollte es von Wetzlar über Weilburg (28 km, 4 Schleusen), Limburg (37 km, 6 Schleusen) und Bad Ems (48 km, 8 Schleusen) bis nach Neuwied (36 km, 4 Schleusen) gehen. Von den ursprünglich angemeldeten 11 Teilnehmern fielen drei Personen sehr kurzfristig aus, so dass unsere Ostertruppe auf acht Rudernde schrumpfte. Abgesehen von einem abgebrochenen Paddelhaken, der Helenes rohen Kräften zum Opfer gefallen war, gab es glücklicherweise keine weiteren Verluste.
Unser Chauffeur Marius brachte uns und die Boote Rolandsbogen und Donauwelle am Karfreitag wohlbehalten zum Ausgangspunkt der Wanderfahrt nach Wetzlar. Die obligatorischen Fotos zum Tourstart wurden gemacht und los ging es mit ordentlicher Strömung lahnabwärts. Für Lahnunkundige sei kurz erwähnt, dass man die Schleusen auf der oberen Lahn eigenhändig unter nicht unerheblichem körperlichen Einsatz bedienen muss. Erst ab Limburg sind Schleusenwärter vor Ort, die die Schleusen per Knopfdruck in Gang setzen. Wer also des manuellen Schleusens noch unkundig war, bekam eine Einweisung in die Geheimnisse des Auf- und Zukurbelns der Schotten und die Öffnung der Tore. Einige wenige Paddelboote waren unterwegs. Ansonsten hatten wir die Lahn für uns. Die zahlreichen Kurven und die starke Strömung sorgten dafür, dass den Steuerleuten nicht langweilig wurde. Wir kamen zügig voran und legten erst an der vierten und letzten Schleuse zu einer Pause an. Die rustikale Selbstbedienungshütte hielt gekühlte Getränke für uns bereit. Lediglich der Hinweis zur nicht vorhandenen Außentoilette wurde von uns mit Unverständnis aufgenommen. Noch vor 16 Uhr trafen wir in Weilburg ein und nutzten den restlichen Nachmittag für einen Rundgang durch die Altstadt und die sehenswerten Schlossgärten. Nachdem die Begrifflichkeit „Lindenboskett“ („Gruppe von beschnittenen Linden in barocken Schlossgärten“) geklärt war, hatten wir alle etwas dazu gelernt. Bevor es zum Abendessen ging, wurde Kathleen genötigt, noch ein Zimteis als Vorspeise zu sich zu nehmen. Dann steuerten wir das italienische Restaurant „Michelangelo“ an. Das etwas vernachlässigte Interieur des Lokals entsprach glücklicherweise nicht der Qualität des Essens. Auch die Ankündigung des Wirtes, uns Lahnwasser zu servieren, stellte sich als gut gemeinter Scherz heraus. Der nicht vorhandene Eichstrich an den Weingläsern sollte ebenfalls nicht zu unserem Nachteil gereichen. Inzwischen hatten wir uns auch an den Humor des Wirtes gewöhnt und der Abend endete zu unserer vollsten Zufriedenheit.
Den heißen Kaffee zum samstäglichen Frühstück brauchten wir dringend, denn die Morgentemperaturen waren im einstelligen Bereich und somit für ein Frühstück auf der Bootshausterrasse nicht ideal. Bevor wir die Tunneldurchfahrung des Weilburger Schifffahrtstunnels in Angriff nahmen, legten wir ordnungsgemäß die vorgeschriebenen Rettungskragen an und machten uns auf zum Tunnel- und Doppelschleusenabenteuer. Erwartungsgemäß dauerte die Prozedur relativ lang, zumal die Schleusen noch befüllt werden mussten. Danach waren wir froh, uns endlich warmrudern zu können. An den Schleusen konnten wir uns zudem noch warmkurbeln. Ein vermeintlich freundlicher Kurbelhelfer entpuppte sich im Nachhinein als gar nicht so freundlich, da er sich wohl einen Lohn für seine Kurbeltätigkeit erhofft hatte. Auch wenn eine Entlohnung die Fahrtenkasse nicht gesprengt hätte, sahen wir dazu keine Notwendigkeit. Die Mittagspause legten wir in Runkel ein. Man konnte wählen zwischen ägyptischen Spezialitäten und (Zimt-)Eis. Helene startete zudem noch zu einem kurzen Stadtrundgang, in der Hoffnung den Burgherrn, Prinz Met(t)fried zu Wied in Runkel und seine Ehefrau Zwiebellinde anzutreffen. Zum Glück kam es nicht zu einem Zusammentreffen, denn der Vorname der Angetrauten entsprach nicht ganz den Fakten, obwohl Familie Gundlach dies zuvor glaubhaft versichert hatte! Und wieder hatten wir etwas dazugelernt! Nach der letzten handbetriebenen Schleuse in Runkel ging es weiter zu unserem Tagesziel nach Limburg.
Constanze, die die ersten beiden Etappen mitgerudert war, übergab hier den Staffelstab an Thomas, der uns die restlichen beiden Tage begleiten sollte. Auch in Limburg war noch Zeit für einen kurzen Stadtrundgang mit Abstecher in den für den Ostergottesdienst vorbereiteten Dom. Da es sich in Limburg bekanntlich schon mancher Bischof recht gut gehen ließ, entschieden wir uns für einen dekadenten Aperitif in der sonnendurchfluteten Limburger Strandbar, wo wir uns vom Outfit und vom Alter her sichtlich vom Großteil der Gäste abhoben. Danach nahmen wir unser „Abendmahl“ in der Oberen Mühle ein. Einige Besucherinnen der Damentoilette beschäftigen sich dort mit der quälenden Frage nach dem Sinn und Zweck einer mit einem runden Metallteil verschlossenen Maueröffnung. Zum Glück konnte Martin diese Frage beantworten, ohne die Damentoilette aufzusuchen. Es handelte sich um die Mechanik zum Verstellen des Mühlrads. Und wieder hatten wir etwas dazugelernt!
Am Ostersonntag stand unsere längste Etappe mit 48 km und 8 Schleusen auf dem Programm. Bevor wir um 9.30 Uhr auf Wasser gingen, um die erste Schleuse um 10.00 Uhr zu erreichen, zelebrierten wir das Osterfrühstück auf dem Balkon des Bootshauses mit Blick auf die Lahn. Der Schleusenwärter, den wir vorgewarnt hatten, war überpünktlich an seinem Arbeitsplatz und verrichtete schon vor seinem offiziellen Dienstbeginn die erste gute Tat, indem er uns vor 10.00 Uhr schleuste. Beflügelt durch diesen Zeitgewinn ging es weiter lahnabwärts. Die meisten Schleusenwärter hatten die Schleusung schon vorbereitet, so dass wir unsere Tour ohne nennenswerte Wartezeiten fortsetzen konnten. Lediglich in Kalkofen spielte der Schleusenwärter nicht mit und räumte einem hochschleusenden Motorboot den Vorrang ein. Bevor wir die Schleuse verließen, entschuldigte er sich bei uns für die Wartezeit. Offenbar hatte auch er etwas dazugelernt! In Obernhof legten wir zu einer späten Mittagspause an. Obwohl am Kücheneingang das Schild „Hier kocht Hein“ hing, ließ Thomas sich nicht dazu bewegen, dem Koch zur Hand zu gehen, was dazu führte, dass wir recht lang auf unsere Currywürste und Pommes warten mussten.
Auf das Zimteis wurde heute bewusst verzichtet. Nach der Stärkung lagen noch 14 km und 3 Schleusen vor uns. Auch die Schleuse Hollerich musste erst befüllt werden, aber die Wartezeit konnten wir uns mit dem Streicheln von Ziegen verkürzen, die dort weideten. Ob eine Zimtzicke dabei war, ließ sich in nicht feststellen. Nach dieser Streichelzoo-Einlage lief es wieder wie am Schnürchen und wir trafen schon kurz nach 17 Uhr in Bad Ems ein. Hier wurden wir von einem sehr freundlichen Ruderkollegen formvollendet willkommen geheißen. Wir fühlten uns fast wie Kurgäste, was vermutlich nicht nur am freundlichen Empfang, sondern auch an unserer Erschöpfung nach der langen Etappe gelegen haben mag. Die rastlose Helene brach schon zum Promenadenrundgang auf, während wir anderen nach dem Duschen noch eine Erholungskur brauchten. Zum Abendessen fanden wir uns alle im Restaurant Delphi ein. Manche befragten bei der Essensentscheidung das Orakel, andere nahmen die Speisekarte zur Hilfe. Und wer nicht satt geworden war, nahm sich beim Verlassen des Lokals noch ein Osterei mit.
Am Ostermontag durften wir in der „guten Stube“ des Bad Emser Rudervereins frühstücken. Zum Abschied wurden uns noch touristische Karten, wahlweise für Radfahrer, Wanderer oder Bootsfahrer, überreicht. Dann ruderten wir bei herrlichem Sonnenschein an der Emser Kurpromenade vorbei, schleusten ohne Wartezeiten und erreichten um Punkt 12 Uhr Lahnstein. Nach 3 ½ Tagen Rudern auf der beschaulichen Lahn, mussten wir uns erst einmal wieder an die Wasserverhältnisse auf dem Rhein gewöhnen. Einige Fracht-, Personen- und Flusskreuzfahrtschiffe holten uns mit ihren Wellen schnell auf den Boden der Tatsachen zurück. Aufgrund des hohen Wasserstands konnten wir von Vallendar bis Bendorf die Passage zwischen den Inseln Nieder- und Graswerth nehmen, wo wir noch ein letztes Mal ruhiges Wasser und Natur pur auf uns wirken ließen. Um 14.15 Uhr legten beide Boote nahezu zeitgleich am heimischen Steg in Neuwied an. Als wir unser Gepäck nach dem Reinigen der Boote in den Autos verstauten, wunderten wir uns, dass alles in zwei Boote gepasst hatte. Wegen der Bootshausübernachtungen gehörten neben dem üblichen Gepäck auch Isomatten, Schlafsäcke und Frühstücksproviant zur Wanderfahrtausrüstung.
Auch jetzt wurden noch Abschiedspräsente in Form von überzähligen Salami- und Käsepackungen verteilt. Kathleen entschied sich für den restlichen Frühstücksquark, womit sie ihren Sonnenbrand kühlen wollte. Zimteis stand leider nicht zur Verfügung. Weiter ließ sich der Abschied nun nicht mehr hinauszögern, auch wenn es uns nach dem schönen langen Wanderfahrtwochenende schwer fiel, uns wieder in die Niederungen des Alltags zu begeben. Aber alles hat bekanntlich ein Ende. Also gingen wir schweren Herzens, aber um ein schönes Rudererlebnis bereichert, auseinander. Außerdem konnten wir uns damit trösten, dass wir einiges dazugelernt hatten!
Bettina Grzembke