Die Neuwieder Deichtreppe oder „Fluch oder Segen“

Bei Arbeiten im Räumchen fiel mit das nachfolgend wiedergegebene Gedicht in die Finger.

Viel Spaß beim Lesen.

Dieter Kunz

Die Neuwieder Deichtreppe oder „Fluch oder Segen“

von Rolf Petry (NRG)

 

Ach, wie hatten´s doch vordem

die Rudersleute so bequem.

Als noch kein Deich den Blick zum Rhein

versperrte oder trübte, nein,

man brachte jedes Ruderboot

ans Wasser ohne Müh und Not,

ohn´ jedes Hindernis zum Floß,

setzt sich hinein und rudert los.

Heute muß man Boote schleppen

über dreiundneunzig Treppen-

stufen, rauf und wieder runter.

Nur weniger sind es mitunter,

wenn es dem Vater Rhein gefällt

und mal aus seinem Bette schnellt.

Dreiundneunzig Treppenstufen

einst die Deicherbauer schufen.

Wer mir das nicht glauben mach,

der gehe hin und zähle nach.

Bis einer heut´ im Boote sitzt,

ist er schon lange nass geschwitzt.

Denn Boote, Skulls und Zubehör,

wie jeder weiß, sind nicht nur schwer,

man hat, bis alles transportiert,

das Hindernis drei mal passiert.

Kommt man zurück von dieser Tour,

geht’s weiter mit der Prozedur.

Kaum legst du an der Pritsche an,

glotzt die voll Hohn die Treppe an

mit ihren dreiundneunzig Stufen!

Ich möcht´ am liebsten Hilfe rufen.

Ach wär´s doch wie es früher war.

Auf einmal wird mir sonnenklar:

Die Schinderei kann kann nur beweisen,

warum wir „Ruderknechte“ heißen.

Im ganzen Land ist kein Verein,

weder am Mosel, Neckar, Main,

noch an der Donau, Weser, Ruhr,

der so ´ne Treppe hat, doch nur

kann ich mich trotz all dieser Plagen,

über Gesundheit nicht beklagen.

Denk ich so an die vielen Jahre,

die ich tagein, tagaus hier fahre,

mitunter zwei-dreimal pro Tag,

wohl niemand mehr zu zählen mag,

wie viele Stufen es wohl waren,

die ich erklommen in den Jahren?

 

Normal wird, muß wohl jeder sagen,

die Ochsentour kein Mensch vertragen.

Man müsste längst auf Krücken geh´n,

doch nichts dergleichen ist gescheh´n.

Ich selber bin, im Grund genommen,

mitnichten auf den Hund gekommen.

Im Gegenteil, daraus ergibt sich,

– ich geh so langsam auf die siebzig –
hält mich das Treppensteigen jung

und Herz und Kreislauf stets in Schwung.

Wir sollten also, statt zu fluchen,

uns einen Vorteil darin suchen.

Drum ist, wenn wir uns überlegen,

in Wahrheit dieser Fluch ein Segen.

 

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Dies schrieb ich mal vor vielen Jahren

und ahnte nicht, daß irgendwann

man Alter nicht nur an den Haaren,

nein, auch am Gang erkennen kann.

 

Erst ignoriert man leichte Schmerzen

und ist bemüht, aufrecht zu geh´n.

Nimmt nicht gleich jeden Stich zu Herzen

und hofft, es wird wieder vergeh´n.

 

Ich würde trotz aller Wehwehchen

die Treppe oft und gern passier´n.

Doch am Gewicht der schweren Boote,

da könnt´ste glatt die Lust verlier´n.

 

Jüngst bauten wir uns einen Wagen,

den ein Mäzen uns finanziert.

Jetzt werden Boote, statt getragen,

auf Rädern hin zum Floß bugsiert.

 

Doch ist der Weg an vielen Tagen

durch Kraftfahrzeuge zugestellt.

Was nützt uns da der schönste Wagen

und jedes andre Mittel fehlt.

 

Ich hätte gerne was erfunden.

Den Pegelturm mit einem Kran.

Oder vom Bootshaus schräg nach unten

eventuell ´ne Drahtseilbahn.

Ein schwimmend Bootshaus vor der Treppe,

das wäre einfach wunderbar.

Vielleicht tät´s auch ´ne Pferdeschleppe

oder San Franciscos Cablecar.

 

Man kann sich drehen oder wenden,

es bleibt beim alten immerdar.

Wir tragen weiter mit den Händen

die Treppe hoch, hipp, hipp, hurra!