Ein Ostermärchen
Auf vielfachen Wunsch einiger Stammkunden der jährlichen Oster-Wanderfahrt ging es in diesem Jahr auf die Weser. Für die meisten Teilnehmer war es Ruder-Neuland oder sagt man eher Ruder-Neuwasser? Da es unser Anspruch ist, mit allen zusammen zu rudern und auf einen Landdienst zu verzichten, begann die Tour schon am Gründonnerstag mit einem Logistik-Tag. Der Vereinsbus zog den mit den Booten Julle und Rolandsbogen beladenen Anhänger zunächst nach Kassel. Das „Begleitfahrzeug“ wurde von Constanze zur Verfügung gestellt. Am Ausgangspunkt der Tour, dem Casseler Frauen-Ruder-Verein, luden wir die Boote und das Gepäck ab. Dem geografisch bewanderten Leser wird an dieser Stelle auffallen, dass Kassel nicht an der Weser liegt. Um genau zu sein, müsste man von einer Fulda-Weser-Wanderfahrt sprechen, da sich die erste Etappe auf der Fulda abspielte. Aber zurück zur Wanderfahrt. Martin und Constanze fuhren Bus und PKW nach Hameln vor, kamen mit der, wie immer unpünktlichen, Deutschen Bahn zurück nach Kassel, während der Rest der Truppe sich die Zeit im kalten und wenig einladenden Kassel vertrieb. Am Abend stießen noch die Nachzügler Kathleen, Andrea und Michael dazu, so dass wir zum Abendessen im Schnitzel-Haus alle zehn zu einem gemütlichen Wanderfahrts-Auftakt zusammensitzen konnten.
Den Karfreitag begannen wir mit einem üppigen Frühstück. Um der nicht sehr rosigen Wettervorhersage entgegenzuwirken, ließen wir weder ein Stück Brot noch Hefezopf übrig. Man mag es glauben oder nicht, es wirkte! Die Luftfeuchtigkeit war zwar den ganzen Tag über stark erhöht und die Temperaturen kletterten nicht über die 10°C-Marke, aber der angesagte Dauerregen blieb aus. Mehr konnten wir an diesem Karfreitag nicht erwarten. Die Kasseler Stadtschleuse unterzog uns schon kurz nach dem Ablegen einer nervlichen Belastungsprobe. Ordnungsgemäß betätigten wir die Schleusen-Selbstbedienung und warteten ab. Nachdem die digitale Anzeigetafel uns nach einer gefühlten halben Stunde noch immer keine Einfahrt in die Schleuse ankündigte, musste Thomas aussteigen und die Lage checken.
Wir wussten nicht genau, ob die Nachricht, dass es sehr langsam voranging, gut oder schlecht zu deuten war. Einerseits waren wir froh, dass es wohl demnächst weitergehen würde. Andererseits grübelten wir darüber nach, wann wir wohl ankämen, wenn es an allen vier Schleusen an diesem Tag so lange dauern würde!
Das Glück war auf unserer Seite und nur diese eine Schleusung hielt uns eine knappe Stunde auf. Hinter der nächsten Schleuse war das Wasser der Fulda voller Schaum. Die unappetitliche weiß-braune Masse bedeckte den gesamten Fluss über mehrere Kilometer. Spätere Recherchen ergaben, dass das Phänomen wohl einen natürlichen Ursprung hatte, was den Anblick und das Rudern darin aber nicht beschönigen konnte. Eine Pausenmöglichkeit bot sich in Wilhelmshausen an. In Sichtweite des Ruderstegs der Uni Göttingen befand sich eine klassische Imbissbude. Die Einkehr in „Danielas Wurstbraterei“ sollte den Rest des Tages entscheidend beeinflussen! Eine flaschenförmige große Werbetafel kündigte an, dass es in besagtem Imbiss „Schierker Feuerstein“ geben sollte. Wie wir von Kathleen erfuhren, handelte es sich um einen Kräuterlikör aus dem Harz, den jede in den neuen Bundeländern aufgewachsene Person kennen MUSS. In Anbetracht des feuchtkalten Wetters gönnten wir uns alle ein solches Getränk und stellten ausnahmslos fest, dass es stimmungsaufhellende Wirkung entfaltete. Die verbleibenden beiden Schleusen und sechs Stromkilometer ruderten sich wie von selbst. So hatten wir noch ausreichend Motivation, unser Etappenziel Hannoversch-Münden fußläufig zu erkunden und ein schönes Gruppenfoto am Weserstein zu machen.
Am Ostersamstag waren wir die „Spätschicht“ beim Frühstück. Eine über 25-köpfig große Gruppe aus Berlin hatte ebenfalls im Bootshaus des Mündener RV übernachtet.
Die Ruderkollegen aus Berlin waren jedoch so zeitig auf den Beinen, dass wir im Anschluss in aller Ruhe frühstücken konnten. Nachdem wir abgelegt, ein letztes Mal geschleust und von der Fulda auf die Weser abbogen waren, kam die Sonne heraus und begleitete uns den ganzen Tag. Es blies zwar ein kühler Wind, aber der konnte unserer Stimmung keinen Abbruch tun. Blauer Himmel, gelbe Rapsfelder, blühende Obstbäume und saftig grüne Wiesen und Wälder säumten unsere Ruderstrecke. Am Weserufer weideten unzählige Schafe mit winzigen Lämmern, die maximal wenige Tage alt waren. Es mutete schon fast kitschig an, aber genauso zeigte sich unsere Umgebung an diesem und auch an den nächsten beiden Tagen. Abgesehen von den Ruderern aus Berlin, deren fünf Booten wir in großem Abstand zueinander begegneten, waren wir auf der Weser quasi allein unterwegs. Besser konnte es nicht sein! Die Mittagspause in Gieselwerder im Café Scholle ließ sich zunächst etwas merkwürdig an, aber die Größe und Qualität der Kuchenstücke überzeugten uns und der anfängliche Eindruck eines angestaubten Gastronomiebetriebs blieb nicht haften. Unser nächstes Etappenziel Beverungen erreichten wir zeitig, so dass je nach Geschmack noch Gelegenheit für einen Spaziergang in den Ort, ein Gläschen Wein auf der Pritsche oder eine Runde Spielen bestand. Nach dem Abendessen sanken wir müde und zufrieden auf unsere Isomatten.
Am Ostermorgen erwarteten wir mit Spannung das von der Wirtin angebotene Osterfrühstück. Bisher hatte wir unser Frühstück kostengünstig selbst zubereitet, aber heute scheuten wir keine Kosten und liefen wie Kinder am Heiligen Abend vor der Tür des Frühstücksraums herum, um vorab schon einmal einen Blick auf den „Gabentisch“ zu werfen. Die Wirtin hatte nicht zu viel versprochen. Noch warme Brötchen, Schoko-Croissants, ein Glas Sekt, Obstspieße mit Minipfannkuchen, Lachsröllchen und Ostereier waren nur ein Teil des Sortiments, das uns an der festlich gedeckten Tafel erwartete. Nach einem derartigen Start in den Tag konnte nun an diesem sonnigen Ostertag auf der längsten Etappe unserer Tour (60 km) nichts mehr schiefgehen.
Die Pause legten wir auf halber Strecke in Holzminden in einem Biergarten am Weserufer ein und erreichten am späten Nachmittag erschöpft und zufrieden das dritte Etappenziel, die Münchhausenstadt Bodenwerder. Während des Abendessens begann es zu regnen. Besser hätte es nicht passen können! So kam die Natur zu ihrem dringend notwendigen Niederschlag und wir ohne denselben zu einer trockenen Wanderfahrt. Auf dem überdachten Bootshausbalkon nahmen wir noch einen Schlummertrunk zu uns und freuten uns über den nunmehr dritten gelungenen Rudertag.
Der Ostermontag begann mit einer Serie von Missverständnissen rund um die Brötchenbestellung. Zunächst wunderten wir uns, dass unsere Brötchen-Kolonne, bestehend aus Sandra, Axel und Michael, so lange brauchte, um die am Vortag von Martin bestellten und bezahlten Brötchen abzuholen. Michael befeuerte die Verwunderung noch, indem er vorgaukelte, die Brötchen andernorts erworben, also nochmals bezahlt zu haben. Dies stellte sich als Fake-News heraus. Die Verzögerung war dadurch verursacht, dass die Tankstelle, die der einzige Brötchenlieferant an diesem Ostermontag war, erst um 8 Uhr öffnete, Martins Bestellung aber für 7 Uhr entgegengenommen hatte. Dies war leider noch nicht das Ende der Frühstücksmisere. Dummerweise stimmte der Inhalt der Brötchentüte nicht mit der Bestellung überein. Da wir nicht mit knurrendem Magen losrudern wollten, beschlossen Constanze und ich kurzerhand, die mangelnd befüllte Brötchentüte zu reklamieren. Schnellen Schrittes und wild entschlossen stürmten wir die Tankstelle. Die von der Bedienung und ihrer Vorgesetzten losgetretene Diskussion, dass man sich unmöglich beim Befüllen der Tüte geirrt haben könne, beendeten wir schnell, indem wir unmissverständlich die sofortige Herausgabe der von uns bezahlten Brötchen einforderten. Mit der korrekt befüllten Tüte kehrten wir an den Frühstückstisch zurück und setzten unsere Mahlzeit fort. Der Kaffee war kalt, aber was tut man nicht alles im Namen der Gerechtigkeit! Die letzten 22 km zum Ruder-Verein Weser Hameln waren schnell zurückgelegt. Wir reinigten unsere Boote noch vor dem Verladen, was uns bei unserer Ankunft in Neuwied einen großen Vorteil verschaffen sollte.
Bevor wir uns auf die Autobahn begaben, gönnten wir uns noch einen gemeinsamen Abschluss-Imbiss im Biergarten Tündernsche Warte. Nachdem jemand erwähnte, dass wir unter blühenden Birken sitzen, nahm die Anzahl der allergischen Reaktionen schlagartig zu, aber wir stiegen ja bald in unseren klimatisierten Autos, so dass keine medizinischen Eingriffe nötig waren. Während Constanze und Thomas noch einen Schlenker über Kassel machten, um Michael und Andrea dort bei ihrem Auto abzusetzen, steuerte Martin den Bootstransport direkten Weges sicher durch den dichten Oster-Rückreiseverkehr nach Neuwied. Dort stellte es sich als vorausschauende Entscheidung heraus, die Boote schon in Hameln einer gründlichen Reinigung unterzogen zu haben. Nach den vier Rudertagen und der Rückreise waren wir froh, nur noch abladen und aufriggern zu müssen. Schön war es auf der Weser, auf der Fulda rückblickend natürlich auch! Das bisschen Schaum hinter der zweiten Schleuse verblasste in der Erinnerung an den Schierker Feuerstein. Gerne denken wir an die vier schönen Rudertage zurück und freuen uns schon auf die Oster-Wanderfahrt 2026!
Bettina Grzembke