Federweißentour II
Manch einer mag es einfallslos finden, wenn jedes Jahr die gleiche Wanderfahrt angeboten wird, aber die gleichbleibend große Nachfrage an der Federweißentour zeigt, dass das Interesse an dieser seit Jahrzehnten bestehenden Herbst-Wanderfahrt ungebrochen groß ist. Schon im Sommer war die Tour ausgebucht, so dass der Aushang im Bootshaus letztendlich nur dazu diente, den Regularien zu genügen.
Nachdem die Boote bereits am Donnerstagabend verladen worden waren, konnte es am späten Freitagnachmittag losgehen. Niklas, unser Chauffeur, brachte eine Vereinsbusladung voller Wanderfahrer an den Ausgangspunkt Wiesbaden-Biebrich. Wer nicht mehr in den Bus passte, „durfte“ mit der Bahn anreisen. Während der Bus pünktlich um 18.45 Uhr am Bootshaus der Biebricher RG eintraf, verzögerte sich Ankunft der Bahn um satte 45 Minuten. Die „Busfahrer“ saßen bereits gemütlich in der Bootshausgaststätte, als die „Bahnfahrer“ leicht abgehetzt eintrafen. Neben den selbst hergestellten Limonaden gab es dieses Jahr als weitere flüssige Köstlichkeit den „Uferwein“, der auf einer futuristischen Kühl-Stellage serviert wurde und bis zum letzten Tropfen angenehm temperiert blieb. Nach dem Auftakt-Abend sanken wir müde in unsere Schlafsäcke. Einzelne Teilnehmer beklagten am nächsten Tag, ihre Nachtruhe sei durch Stechmücken oder Schnarchgeräusche gestört wurden. Die Fahrtenleitung war jedoch nicht bereit, Entschädigungsansprüche zu akzeptieren.
Wie immer, wurde von den Frühaufstehern erwartet, die Brötchen zu besorgen. Sandra und Axel kamen dieser Aufgabe in routinierter Art und Weise nach. Unsere Frühstückstafel bauten wir unter den Booshausarkaden auf. So waren wir geschützt, falls der angekündigte Regen unsere Frühstücksidylle stören sollte. Tatsächlich sah es so aus, also wollte der Regen uns den Tag ein wenig vermiesen. Denn er setzte genau zu der Zeit ein, als wir starten wollten. Die Steuerleute packten sich wasserfest ein und es konnte losgehen. Schon nach kurzer Zeit verzog sich der Regen wieder und störte uns im restlichen Tagesverlauf nur noch unwesentlich. Noch besser als das Ausbleiben des angekündigten Regens war die Windrichtung. Der für seinen Gegenwind gefürchtete Rheingau zeigte sich an diesem Tag von seiner luftigen Schokoladenseite. Ein leichter Schiebewind schob uns sanft in Richtung Bingen. Der Schiffsverkehr war nicht nennenswert, so dass der Vormittag sehr ruhig und unspektakulär verlief. In Bingen hatte man das Gefühl, dort löse sich ein Stau rheinaufwärts langsam auf. Jedenfalls reihten sich Flusskreuzfahrtschiffe, Frachter und Ausflugsschiffe nahtlos aneinander. Die Pause legten wir bei „Josch“ in Bacharach ein. Da Josch den Laden alleine „schmiss“, gingen wir ihm ein wenig zur Hand und betätigten uns als gastronomische Hilfskräfte, um die Pause zeitlich nicht ausufern zu lassen. Seit geraumer Zeit war der prognostizierte Regen kein Thema mehr. In Joschs Biergarten genossen wir jedenfalls ausnahmslos die Sonne.
Gestärkt konnten wir nun den letzten Streckenabschnitt des ersten Rudertags von Bacharach nach St. Goar angehen. Die Loreley passierten wir zwar nicht ohne Schiffsverkehr, aber dennoch unbeschadet. In St. Goar bezogen wir unser Bootshausquartier mit dem ambivalenten Charme aus heimeligem Bootshaus und kleineren Hygienedefiziten. Kurze Duschzeiten zur Energieeinsparung sind im Bootshaus von St. Goar obligatorisch, da dort niemand freiwillig lange unter der Dusche verweilen möchte. Eine Maus, die sich offensichtlich illegalen Zugang zur Bootshausküche verschafft hatte, konnte leider nur noch tot geborgen werden. Wir hofften, dass es sich um einen Einzeltäter handelte. Unbestritten schön ist jedoch der Blick von der Bootshausterrasse, auf der wir uns als Willkommenstrunk einen Becher Federweißen gönnten. Zum Abendessen fanden wir uns in unserer Stamm-Pizzeria ein, eine der wenigen Gaststätten, die man in St. Goar tatsächlich empfehlen kann. Der freundliche Kellner lud uns zum guten Schluss noch zu einem Schlummertrunk ein. Auch in dieser Nacht haben einzelne Teilnehmer behauptet, Schnarchgeräusche vernommen zu haben. Stechmücken und weitere Mäuse wurden jedoch glücklicherweise nicht wahrgenommen. Die Fahrtenleitung lehnte weiterhin jegliche Haftung für Schlechtschläfer ab.
Am Sonntagmorgen kamen Sandra und Axel wieder gewissenhaft ihrer Versorgungsaufgabe nach, indem sie die noch warmen Backwaren beim Bäcker in Empfang nahmen und sicher zum Bootshaus transportierten. Die Frühstückstafel, die durch Honig aus dem Hause Hein und zahlreiche selbst hergestellte Marmeladen bereichert wurde, konnte es mit einem Hotelfrühstück durchaus aufnehmen.
Am Vortag hatten uns Bernd Schmidt und Martin Rummel verlassen. Um deren Ruderplätze einzunehmen, reisten am Sonntagmorgen Corinna und Anny im altbewährten „Taxi Sassin“ an. Auf dem Rückweg nach Neuwied nahm der freundliche Taxifahrer einen Großteil unseres Gepäcks mit, was uns im wahrsten Sinne des Wortes erleichterte. Um 10.00 Uhr waren alle drei Boote auf dem Wasser. Da es bereits am Samstag ungewöhnlich warm gewesen war, konnte man auch am Sonntag problemlos die Sommerversion der Ruderkleidung tragen. Zur Toilettenpause in Boppard hatten sich vereinzelte Zuschauer am dortigen Rheinufer eingefunden, die vermutlich wussten, dass das Bootshaus geschlossen war und wir auf die freie Natur angewiesen waren. Handys wurden jedoch keine gezückt.
Gegen 12.30 Uhr legten wir in Lahnstein zur Mittagspause an. Die dortige Außengastronomie am KD-Steiger scheint zu den wenigen zu gehören, die sich, trotz Personalmangels und anderweitiger Schwierigkeiten der heutigen Zeit, weiterentwickelt haben. Wir nahmen anerkennend zur Kenntnis, dass die Aufmachung des Biergartens, der Service und die Qualität in vollem Umfang unseren Ansprüchen entsprachen. Wir genossen den Aufenthalt und die wärmende Oktobersonne, die uns auch heute wider Erwarten begleitete.
Die restliche Strecke nach Neuwied war schnell zurückgelegt. Gegen 16.00 Uhr legten wir an, waren froh, einen Teil des Gepäcks am Morgen an den freundlichen Taxifahrer übergeben zu haben. Denn das brauchten wir nicht mehr über den Deich zu schleppen. Die Boote wurden mit vereinten Kräften getragen, gereinigt und in den Hallen verstaut. Bevor wir auseinandergingen, wurde die letzte Flasche Federweißer gemeinsam vernichtet. Sandra hatte am Freitag einen so großen Vorrat eingekauft, dass er bis zum Ende der Tour reichte. Es war auch kein bitteres Ende, wie es bei zwei Tage altem Federweißen durchaus zu erwarten gewesen wäre. Er schmeckte immer noch süß, so dass wir ohne bitteren Nachgeschmack auseinander gehen konnten. In diesem Sinne freuen wir uns alle auf den nächsten Herbst und die dann sicherlich wieder stattfindende Federweißentour!
Bettina Grzembke